Magdeburg

Attentat von Halle: So lief der dritte Prozesstag

Am dritten Prozesstag sprechen zum ersten Mal Zeugen.

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Der Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle am 9. Oktober 2019 ging am Dienstag (28.07.2020) in den dritten Verhandlungstag. Dabei wurde die Befragung des Angeklagten durch die Anwälte der Nebenkläger abgeschlossen, es wurde ein mutmaßlicher Abschiedsbrief der Mutter vorgelesen und der erste Zeuge wurde gehört: Ein Ermittlungsbeamter des Bundeskriminalamtes (BKA), der den Angeklagten nach dem Attentat fünf Mal vernommen hatte.

Zu Beginn des dritten Prozesstages befragen die Rechtsanwälte der Nebenkläger den Halle-Attentäter zu seinen Lebensumständen, seiner Schulzeit, dem aktuellen Kontakt zu seinen Eltern und wie er zur freiheitlich demokratischen Grundordnung steht. Unter anderem befragt ihn ein Anwalt, der die Polizei vertritt, die am 9. Oktober (am Tag des Attentats) vor Ort waren.

Der Angeklagte sagt, er wurde in der Schule nicht gemobbt. Der 28-Jährige hatte drei Monate nach dem Attentat wieder Kontakt zu seinen Eltern und telefoniert "hin und wieder" mit ihnen, um zu erfahren, wie es ihnen geht. Die Frage zu seinem Demokratieverständnis kommentiert er mit einer Verschwörungsideologie. Detail-Fragen zu seinem verfassten und veröffentlichten Manifest will der Attentäter den Rechtsanwälten nicht beantworten: "Ich habe kein Interesse, [...] meine Pläne zu erklären." Die Frage, ob er auch Kinder getötet hätte, wenn eins vor Ort gewesen wäre, bejaht der Attentäter.

Im Prozess wurde beschrieben, was die Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) auf dem Rechner des Attentäters gefunden haben. Der Angeklagte habe strategisch gehandelt: Er habe entschieden, was die BKA-Beamten finden und was nicht. So löschte er zielgerichtet am 9. Oktober seinen Browserverlauf und versuchte das auch mit seiner Festplatte, bevor er loszog, um Menschen zu töten. Teile seiner Festpatte konnten wieder hergestellt werden. Anderes ließ er leicht auffindbar auf seinem Desktop stehen.

Die Beamten fanden auf seinem Rechner beispielsweise Kriegslieder aus aller Welt, Lieder der Hamas, Videos von IS-Hinrichtungen (u. a. an Kindern) und Dokumente einer rechtsextremen Gruppierung aus den USA, die rechtsextreme und islamistische Massenmörder als Vorbilder verherrlicht, international aktiv vernetzt ist und als eine der gefährlichsten Neonazi-Gruppen der Gegenwart gilt.

Attentäter von Halle bewegte sich intensiv in der rechtsextremen Online-Szene

Nachweislich bewegte sich der Attentäter intensiv in der rechtsextremen Online-Szene. Kontakte zur lokalen rechtsextremen Szene habe er hingegen nicht gehabt, wie der Verfassungsschutz bestätigte. Der Sachsen-Anhalter radikalisierte sich zuhause über das Internet. Unter anderem war er im Darknet unterwegs, wo er nicht nur auf ideologische Foren gestoßen ist, sondern auch auf Kinderpornografie. Letztes sei ein Versehen gewesen, verteidigt sich der Angeklagte. Außerdem hört der Attentäter rechtsextreme (meist englischsprachige) Musik, die offen Nazi-Symbole und antisemitische, rassistische, queerfeindliche sowie sexistische Texte verwenden. Für die Nebenkläger ist klar, dass der Angeklagte nicht allein, sondern mit vielen im digitalen Resonanzraum handelt. Der Fall dürfe streng genommen nicht als Einzeltat betrachtet werden, zumal sich der Angeklagte auch an anderen Attentätern orientierte. Juden soll damit signalisiert werden, dass sie nicht sicher sind. Es darf in diesem Prozess nicht der Fehler gemacht werden, das hier nur eine Person angeklagt wird, so die Nebenkläger. Auch aus dem Gefängnis heraus ist der Attentäter weiterhin nach Außen vernetzt. So schreibt er umfangreich Briefe mit verschiedenen Personen, vorrangig aus Mitteldeutschland. Die Namen der Empfänger sind bekannt und er wird damit konfrontiert. Der Angeklagte will zu den Personen aber keine weiteren Angaben machen und blockt komplett ab.

Generell versucht der Angeklagte privaten Fragen auszuweichen und will kaum Persönliches preisgeben. Bei anderen Fragen nutzt er hingegen häufig die Gelegenheit, Verschwörungsideologien zu verbreiten. Richterin Ursula Mertens macht die Anwälte der Nebenkläger darauf aufmerksam und gibt zu bedenken, inwieweit sie dem Angeklagten eine Bühne dafür bieten wollen oder beim Verhör seine Sprache aufgreifen, indem sie beispielsweise ebenso rassistische Wort benutzen. Mertens betont, dass das Fragerecht dabei nicht beschnitten werden soll. Die Formulierungen sollten jedoch durchdacht sein und Anwälte sollen überlegen, inwiefern sie den Angeklagten beim Antworten abschweifen lassen.

Ein Gutachter befragte den rechtsextremen Attentäter von Halle beispielsweise zu seinen Erkrankungen. Zum ersten Mal zeigte sich so etwas wie Zorn im Gesicht. Er wurde kleinlaut und einsilbig bei den Antworten auf die Fragen, die sich um seine Erkrankungen drehen. Auf die Frage, wann der Angeklagte das letzte Mal Amphetamine konsumiert habe, antwortet der Angeklagte mit: "Keine Ahnung."

Der 28-jährige Attentäter hatte sich seit einer Erkrankung selbst stark sozial isoliert und sich später in seinem Kinderzimmer bei seiner Mutter radikalisiert. Seine Eltern wurden nun doch für Mittwoch, 29.07.2020 als Zeugen vorgeladen. Ob sie aussagen werden, ist jedoch fraglich. Letzte Woche haben die Eltern noch von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und mussten so weder mündlich noch schriftlich Fragen zu ihrem Sohn und dem Fall beantworten.

Mutmaßlicher Abschiedsbrief der Mutter wird im Gerichtsaal vorgelesen

Der Attentäter erzählte auf Nachfrage, dass er ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter habe. Der sonst so redselige Angeklagte wollte sich dazu aber nicht weiter äußern. Im Prozess wurde dann ein Brief der Mutter als Abschrift im Gericht gezeigt. Gefunden wurde er in der der Wohnung der Mutter. Es handelte sich dabei mutmaßlich um einen Abschiedsbrief. Dieser ist an die Schwester des Attentäters gerichtet: "ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde. [...] Du weißt wie sehr ich um ihn gekämpft habe. Ich habe ihn verloren. Ich habe euch lieb [...]."

In dem sechsseitigen Brief von ihrem mutmaßlichen Suizidversuch zeichnete die Mutter mehrfach Davidsterne, die sie durchstrich, außerdem verklärt sie das Attentat ihres Sohnes und sucht die Schuld beim Staat: "Dieser Staat hat mich und Stephan so im Stich gelassen." Weiter schrieb sie: "Bevor ich gehen muss, schalte ich den Fernseher an, damit ich meinen Sohn noch einmal sehen kann. Sie haben so viele Bilder von ihm, ich kann es kaum glauben, dass er es sein soll." Dass die Mutter sich außerdem antisemitisch im Brief geäußert habe, verteidigt ihr Sohn, indem er meint, dass sie das nur unter Einfluss von Alkohol und Tabletten geschrieben haben könne.

Rechtsanwältin Kati Lang äußerte sich gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung zum Abschiedsbrief der Mutter des Attentäters: „Der Brief lässt aus unserer Sicht darauf schließen, dass es auch im familiären Kontext antisemitische Denkstrukturen gab“, so Lang, die drei Opfer aus der Synagoge vertritt.

BKA-Mitarbeiter ist der erste Zeuge im Prozess, der angehört wird

Am Nachmittag wurde der erste Zeuge angehört: Ein BKA-Mitarbeiter, der den Angeklagten fünf Mal verhört hatte. Laut Zeuge habe der Attentäter hin und her geschwankt, ob er Aussagen wolle oder nicht. Erst bei der Sicherung der Fingerabdrücke habe der Angeklagte sich geäußert und nachgefragt, was die Beamten von ihm wissen wollen. Der Angeklagte habe sich den Beamten gegenüber mehrmals überlegen gefühlt, indem er die Arbeit der BKA-Mitarbeiter korrigierte und sich über Beamte lustig machte, die Jargon der Gaming-Szene nicht verstünden.

Beispielsweise habe er einen BKA-Beamten korrigiert, der erst den falschen Fingerabdruck nehmen wollte. Ein anderes Mal überschrieb er im Gaming-Jargon Beleidigungen auf Dokumente. Und auch zum heutigen Prozesstag freut sich der Attentäter über die Ausführung des Beamten und korrigiert fleißig Details, die der Beamte aus der Gaming-Szene nicht kennt.

Dennoch habe sich der Angeklagte während der Vernehmung kooperativ verhalten und auf die Fragen geantwortet, so der BKA-Mitarbeiter im Zeugenstand.

Der BKA-Mitarbeiter spricht als Zeuge über die Vernehmungen mit dem Angeklagten. Der Rechtsextremist habe das Attentat akribisch geplant. Es wird detailliert darüber berichtet, wie der 28-Jährige bei der Planung des Attentats vorgegangen sei, wie er seine Pläne warum modifizierte, warum er welchen Streaming-Dienst und welche Sprache wählte und was er ursprünglich nach dem Attentat geplant hatte, wie etwa mögliche Fluchtrouten. Es sei dabei ebenso um Dokumente gegangen, die er vor dem Attentat in Halle verfasste. Darin beschreibt der Attentäter neben seinen Plänen auch seine Ideologie sowie Querverbindungen zu anderen Attentätern. Außerdem berichtete der BKA-Beamte über die Vernehmung als es um den Schusswechsel mit der Polizei, seine Flucht und die Situation in Wiedersdorf (Saalekreis) ging.

Der BKA-Mitarbeiter schlussfolgerte für sich, welche Ereignisse den Angeklagten womöglich beeinflussten, zum Attentäter zu werden:

Seine schwere Erkrankung, weswegen er sich 2013 sozial isolierte und einen Groll gegenüber Ärzten und der Gesellschaft hegte. Der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland 2015 verstärkte seinen Eindruck, im Stich gelassen zu werden - auch wenn er bisher nicht begründen konnte, was sich für ihn dadurch verändert habe. Im Internet stieß er später auf Baupläne für Waffen, die er dann auch nachbaute. Das jüngste Ereignis sei dann 2019 der Anschlag in Christchurch (Neuseeland) gewesen, was ebenfalls live gefilmt und ins Internet übertragen worden war und was er unter anderem als Vorbild nahm. Jedoch: Zwei Tage bevor er den Wagen auslieh, hatte er noch kleinere Zweifel, überlegte, ihn zurückzugeben. Erst am Tattag, als er in den Wagen einstieg, sei ihm klar gewesen, dass er den Anschlag wirklich verüben werde – so der BKA-Beamte.

Vierter Verhandlungstag findet am Mittwoch, 29. Juli statt

Am Mittwoch wird der Prozess um den Attentäter von Halle fortgesetzt.

Der Angeklagte hatte bereits zu Prozessbeginn gestanden, am 9. Oktober 2019 schwer bewaffnet versucht zu haben, in der Synagoge von Halle ein Massaker anzurichten. In dem Gotteshaus feierten zu dem Zeitpunkt 52 Menschen den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Dem Angeklagten gelang es jedoch nicht, in die Synagoge zu gelangen. Daraufhin erschoss er vor der Synagoge eine zufällig vorbeikommende 40-Jährige und später einen 20-Jährigen in einem Dönerimbiss. Der Attentäter filmte seine Tat und übertrug das Video live ins Internet.

Für das international beachtete Verfahren hat das Gericht zunächst 18 Verhandlungstage bis Mitte Oktober 2020 angesetzt. In der 121-seitigen Anklageschrift werfen die Bundesanwaltschaft und die 45 Nebenkläger dem 28-Jährigen unter anderem Mord und versuchten Mord vor. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine lebenslange Haftstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung.

Alles vom Prozess zum Attentat in Halle

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