Sachsen-Anhalt Reporter
Land reagiert: Krebsgefahr durch hohen Arsenanteil im Harzwasser
Radio Brocken deckt teilweise 16-fache Grenzwertüberschreitung auf. UPDATE: Sachsen-Anhalt hat jetzt reagiert.
Der Hagentalstollen bei Gernrode
UPDATE 10.03.2021 18 Uhr
Erste Erfolge nach Radio Brocken Bericht:
Wirtschaftsministerium stellt Millionengelder für Stollensanierung zur Verfügung, um Giftaustritte zukünftig zu verhindern.
Das Wirtschaftsministerium und das Landesamt für Geologie und Bergwesen (LAGB) stellen die Weichen für die Sanierung zweier alter Bergbaustollen im Landkreis Harz. Mit Blick auf den jüngsten Austritt von belastetem Grubenwasser und Schlamm hat das LAGB für die Sicherung des Hagentalstollens Gernrode und des Schwefelstollens Alexisbad für die kommenden Jahre (von 2022 an) zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von insgesamt rund 5,7 Millionen Euro beantragt.
Die zwei Stollen sind vor mehreren Jahrzehnten stillgelegt worden und unterliegen nicht mehr der Bergaufsicht. Daher ist das LAGB ausschließlich für die Abwehr geotechnischer Gefahren wie Tagesbrüche oder Senkungen zuständig, die im konkreten Fall jedoch nicht gegeben sind. Mit Blick auf den Schutz von Mensch und Umwelt haben sich die Bergbehörde sowie das Wirtschafts- und das Umweltministerium jedoch darauf verständigt, dass das LAGB in diesem Einzelfall die Sanierung beider Stollen trotz fehlender Zuständigkeit unterstützen und fachlich begleiten soll. Die nachhaltige Sicherung des Hagentalstollens Gernrode soll auf Grundlage der vom Landkreis Harz beauftragten und von der EU geförderten „Konzeptplanung Hagentalstollen“ erfolgen. Geplant ist, den Hagentalstollen mit einem doppelten Dammbauwerk bei ca. Stollenmeter 700 zu verschließen und das anfallende Grubenwasser kontrolliert im Bergwerk anzustauen, bis der prämontane hydraulische Zustand sich wieder einstellt. Um festzustellen, ob und wie eine nachhaltige Sicherung des Schwefelstollens Alexisbad möglich ist, sollen umfangreiche Erkundungsmaßnahmen durchgeführt werden. Dabei ist der in unmittelbarer Nähe gelegene St. Katharinenstollen mit einzubeziehen.
Hintergrund:
Aus dem Mundloch des Schwefelstollens in der Ortslage Alexisbad ist Anfang März Eisenhydroxidschlamm ausgetreten und hat sich auf einer Fläche von rund 150 Quadratmetern verteilt. Dabei wurde auch der am Mundloch vorbeiführende Selkewanderweg beeinträchtigt. Der Schlamm ist zum Teil auch über den Böschungsbereich in die Selke geflossen. Ursache ist aus Sicht des LAGB die ungewöhnlich schnelle Schneeschmelze. Dadurch ist viel Wasser in den Stollen eingedrungen und hat Schlammablagerungen mobilisiert. Der Gefahr von Schlammaustritten wird seit Jahren durch eine regelmäßige Kontrolle des Schlammspiegels an einem rund 15 Meter hinter dem Mundloch befindlichen Damm begegnet. Wird festgestellt, dass der Schlamm eine gewisse Höhe erreicht, wird der Schlamm vor der Staustufe abgepumpt und einer geordneten Entsorgung zugeführt (letztmalig im Dezember 2020). Das letzte Monitoring fand am 26. Februar 2021 statt und hatte keinen dahingehenden Handlungsbedarf erkennen lassen.
Ursprünglicher Bericht
Nach Radio Brocken Informationen fließt seit Jahrzehnten ungefiltert Grubenwasser aus alten Bergwerkschächten in den Harz. Bodenproben, die von der Hochschule Magdeburg-Stendal analysiert wurden, zeigen: Gesetzliche Grenzwerte für die Bodenbelastung durch Arsen werden in Alexisbad um fast das doppelte, in Gernrode um das 16-fache überschritten. Geologie-Professor Dr. Broder Merkel von der Bergbauakademie in Freiberg hat sich die Ergebnisse genauer angesehen und warnt: „Die Werte in Gernrode sind um ein Vielfaches zu hoch und hier muss, wenn sich die Stichprobe bestätigt, dringend gehandelt werden.“
Rotbrauner Schlamm sprudelte kürzlich aus dem Bergwerkschacht Alexisbad
Der gesetzliche Grenzwert für schwerbelastete Industrieanlagen beträgt 140 ppm, die Radio Brocken Stichprobe in Alexisbad hat einen Arsengehalt von rund 230 und in Gernrode von fast 2.000 ppm ergeben. Gerät Arsen in diesen Größenordnungen ins Grundwasser, kann es über einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren zu einer Zunahme von Hautkrebs-Erkrankungen führen. Hinzu kommt, dass der Verzehr von Wild in dieser Region ebenfalls gefährlich sein kann. Die Wildtiere fressen die arsenhaltigen Pflanzen und damit erhöht sich wiederum beim Menschen das Krebsrisiko. Der Grubenschlamm wird zwar durch den Landesforst in unregelmäßigen Abständen abgepumpt, fließt jedoch auch unkontrolliert, wie Ende Februar dieses Jahres geschehen, direkt in Flüsse und Teiche der Region.
Im Landkreis Harz sieht man das Wirtschaftsministerium in der Pflicht, eine Lösung zu finden. Die hier ansässige Bergbaubehörde muss ein Sanierungskonzept vorlegen, fordert Landrat Thomas Balcerowski. Es darf nicht an Zuständigkeitsgerangel scheitern. Für eine schnelle Klärung auch mit dem Blick auf die gesundheitlichen Gefahren hat er sich an den Ministerpräsidenten Rainer Haseloff gewandt. Er sieht Gefahr in Verzug und weist darauf hin: „Von allen teilnehmenden Behörden wurde übereinstimmend bestätigt, dass vom Hagentalstollen eine unmittelbare Gefahr für den angrenzenden Hagentalbach und die nachfolgenden Gewässer ausgeht.“ Aktuell stehen Stellungnahmen der Ministerien und der Landesregierung dazu aber noch aus.
Blick über die Selke zum stillgelegten Stollen in Alexisbad
Im Wirtschaftsministerium ist der Vorgang seit Jahren bekannt. Im Grubenwasser wurden bereits neben Quecksilber und Cadmium vor allem Arsen wie auch in der aktuellen von Radio Brocken durchgeführten Probe gefunden. In Alexisbad so viel, dass ein als Heilbrunnen ausgewiesener Wanderbrunnen über Nacht demontiert wurde. Die Schlämme aus Alexisbad wurden über Jahre hinweg auf eine Deponie im Landkreis verbracht, diese lehnte aber nach Bodenproben die weitere Einlagerung ab. Jetzt wird alles als Sondermüll aufwändig entsorgt. Problem jedoch: Die Kosten trägt der Landesforst und nicht die Bergbaubehörde, obwohl das Land Eigentümer des Bodens ist. Damit verliert der Forst hunderttausende Euro, durch eine Entsorgung, die nicht deren Aufgabe ist. Die Kosten für eine Sicherung des Stollens belaufen sich nach Aussage des Landkreises Harz auf 3,5 Millionen Euro – pro Stollen!
Rötlich gefärbter Teich beim Hagentalstollen Gernrode
Der Landkreis hatte darüber hinaus freiwillig in den Jahren 2016-2018 mit EU-Fördermitteln eine Konzeptplanung zur abschließenden Sanierung des Hagentalstollens erstellen lassen. Dafür musste der Stollen durch den Bau eines Tragwerks auf einer Länge von 700 Metern zugänglich gemacht werden. Anschließend fand eine Detailkartierung der Grube durch Geologen statt. Die Kosten hierfür betrugen 698.000 Euro. Seit Dezember 2018 liegt damit der Fahrplan für eine Sanierung vor, der Anfang 2019 an das Umweltministerium übergeben wurde.
Eine Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 über den Zustand des Hagentalstollens berichtet bereits über Verunreinigungen des Steinbachs im Jahr 1992. Die Grube selbst wurde 1984 stillgelegt und sollte in diesem Zuge „verwahrt“, also so gesichert werden, dass kein Grubenwasser austritt. Dazu kam es jedoch in den Wirren der Wendejahre nicht. Der VEB Fluss- und Schwerspatbetrieb Werk Rottleberode übergab den Stollen an die Wasserwirtschaftsdirektion Saale Werra. Dieser wurde nach der Wende abgewickelt und der Stollen blieb ohne Rechtsnachfolger. Seitdem streitet sich das Umweltministerium mit dem Wirtschaftsministerium des Landes Sachsen-Anhalt über die Kosten. Die Stolleneingänge befinden sich im Landesforst und sind damit Landesbesitz unter dem Dach des Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums. Die Stollen selbst gehören niemanden, jedoch hat das Land eine eigene Bergbaubehörde, die wiederum dem Wirtschaftsministerium zugeordnet ist.